Hintergründe und Ursachen zum Reizdarmsyndrom - Interview mit Prof. Dr. med. Martin Storr

Reizdarm-Kompass, Magen-Darm-Störungen
Immer mehr Menschen leiden unter Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Durchfall und Krämpfen und bekommen die Diagnose „Reizdarmsyndrom“. Was es mit dem Reizdarm auf sich hat, wie er entsteht und welche Ursachen dafür sein können, wird uns Herr Prof. Dr. Martin Storr im Interview erklären.

Herr Prof. Dr. Storr, was sind denn Symptome des Reizdarmsyndroms?

Prof. Dr. Storr: Das Reizdarm-Syndrom ist gekennzeichnet durch einen bunten Blumenstrauß an Symptomen. Besser geeignet wäre der Begriff „Reizdarmspektrum“, weil es so viele Beschwerden sind. Zum einen haben wir streng darm-bezogene Beschwerden. Dies sind Bauchschmerzen, Bauchkrämpfe, der Blähbauch und die Stuhltexturveränderungern wie Durchfall und Verstopfungen sowie ein Mischbild von beiden, aber auch verschiedenste Variationen. Dann gibt es auch Überlappungen zum Reizmagen mit Magenschmerzen und Völlegefühlt. Dies sind die funktionellen Erkrankungen.

Reizdarm gilt inzwischen als Volksleiden. Sind wirklich so viele Menschen davon betroffen?

Prof. Dr. Storr: Das Reizdarm-Syndrom ist zu Recht eine Volkskrankheit, weil epidemiologischen Studien zur Folge ca. 12 – 14 % der Bevölkerung betroffen sind. Es betrifft Männer ebenso wie Frauen und alle Altersgruppen. Bei der Inanspruchnahme von ärztlichem Rat sind Frauen etwas häufiger vertreten als Männer. Aber betroffen sind nahezu alle Menschen.

Welche Ärzt:innen und Expert:innen kann man bei Reizdarm aufsuchen?

Prof. Dr. Storr: Bei Reizdarm-Beschwerden ist der erste Ansprechpartner streng genommen der Hausarzt, der sich einen Überblick verschaffen kann und weitere Untersuchungen und Überweisungen anordnet. In der Reizdarm-Diagnostik werden oftmals Gastroenterologen (Fachärzt:innen für Magen und Darm) hinzugezogen, gerade wenn es darum geht endoskopische Untersuchungen durchführen zu lassen. Aber auch Frauenärzt:innen werden bei betroffenen Frauen einbezogen, um Beschwerden im Unterbauch abklären zu lassen.

Wenn man dann bei dem entsprechenden Facharzt oder Fachärztin gelandet ist, welche Untersuchungen werden dann gemacht?

Prof. Dr. Storr: Die wichtigste Untersuchung ist streng genommen das Zuhören, also das Anamnesegespräch. Hier berichtet der Patient dem Arzt über seine Beschwerden. Der Arzt kann die typischen Symptommuster erfassen. Die nächste Untersuchung ist die körperliche Untersuchung, bei welcher der Bauch abgetastet und mit dem Stethoskop abgehört wird. Oftmals ist danach eine Blutuntersuchung sowie eine Stuhldiagnostik erforderlich. Gerade bei der Stuhldiagnostik, also der labortechnische Untersuchung des Stuhls mittels einer Stuhlprobe, geht es um krankmachende Keime und Entzündungswerte im Darm, die im Stuhl analysiert werden können. In der erste Untersuchungsrunde ist meist ein Ultraschall vom Bauch erforderlich. 

Häufig wird dann von der hausärztlichen Praxis eine endoskopische Untersuchung, also eine Magen- und / oder Darmspiegelung, in einer Facharztpraxis für Gastroenterologie per Überweisung angeordnet. 

Diese Untersuchungen sind alles die Basisuntersuchungen, so wie es die deutsche Leitlinie vorschlägt. Je nach Symptombild können die Ärzt:innen auch noch ergänzende Untersuchungen anordnen. Diese sind aber nicht bei allen Patient:innen gleich und richten sich nach den geschilderten Beschwerden. 

Wann kann dann die endgültige Diagnose „Reizdarmsyndrom“ gestellt werden? Müssen dafür noch andere Diagnosen ausgeschlossen werden?

Prof. Dr. Storr: Das Reizdarm-Syndrom ist primär eine sogenannte Ausschlussdiagnostik. (Anmerkung: Dies bedeutet, dass andere schwerwiegende Erkrankungen noch ausgeschlossen werden müssen, um letztlich auf die richtigen Diagnose zu kommen.) Dafür sind Algorithmen in der Leitlinie vorgegeben, womit jede Ärztin / jeder Arzt dahingehend arbeiten kann, um ein Reizdarm-Syndrom sicher zu diagnostizieren. 

Für das Reizdarm-Syndrom gibt es klassische Diagnose-Kriterien. Das erste Kriterium ist, dass es sich um chronische Beschwerden handelt, die mindestens 3 Monate innerhalb eines Jahres bestehen. Diese Beschwerden sollen dann vom Arzt und dem Patienten auf den Bauch bezogen werden. Es handelt sich also um ein Darmkrankheitsbild.

Außerdem sollen die Beschwerden die Lebensqualität relevant beeinträchtigen. Es sollen also nicht die Verdauungsstörungen, die nach einer Sauerkrautmahlzeit mal entstehen, sofort mit einem Krankheitsnamen versehen werden. 

Damit die übliche Verdauungsleistung, die auch mit Rumoren einhergeht, von einem echten Krankheitsbild unterschieden werden kann, macht man diagnostische Tests, Laborwerte und apparative Diagnostik. Diese richten sich nach einer klaren, vorgegebenen Abfolge, die nach der Leitlinie zum Reizdarm-Syndrom vorgegeben ist. Wenn man sich an dieser Abfolge hält, dann kann man Reizdarmsyndrom sehr gut und einfach diagnostizieren. 

Was können Ursachen für das Reizdarmsyndrom sein?

Prof. Dr. Storr: Sehr spannende Frage! Im Prinzip ist das Reizdarmsyndrom ein ausgesprochen vielschichtiges Krankheitsbild. Das bedeutet wir haben ein buntes Spektrum an verschiedensten Ursachen. Das wichtigste ist, dass wir eine genetische Komponente haben, die im Erbgut vorgegeben ist. Also die Eltern haben eine gewisse „Mitschuld“, könnte man sagen. Und dann gibt es eine zweite Ebene, die Auslöser. Da gibt es innerliche Auslöser, also Dinge, die im Laufe des Lebens auftreten. Das können eine Durchfallerkrankung oder Umweltgifte oder Schadstoffe sein, die dann dazu führen können, dass Veränderungen an der Darmbarriere stattfinden. Ernährungsfaktoren oder Mikrobiomveränderungen, also eine veränderte, aus dem Gleichgewicht geratene Darmflora, können auch in dieser Ebene der Auslöser zusammengefasst werden. 

All diese Auslöser haben dann gemein, dass dann etwas an der Darmbarriere passiert: nämlich die Darmbarriere bildet Mikroentzündungen aus und wird löchrig. Hier finden dann immunologische, also entzündliche Vorgänge statt, die letztlich dann im Körper die Reizdarmbeschwerden verursachen. 

Kann man denn sagen, dass ein Reizdarm heilbar ist?

Prof. Dr. Storr: Das ist ein oft geäußerter Wunsch, denn jeder möchte natürlich gern beschwerdefrei durchs Leben gehen. Und beschwerdefrei bedeutet für viele Menschen „Heilung“. 

Das Krankheitsbild des Reizdarm-Syndroms von dem man die echten Ursachen aber eigentlich nicht streng benennen kann und in der Vielfalt kennt, kann man nicht strenggenommen „heilen“. Medizinisch geht man daher beim Reizdarm-Syndrom anders vor, da es nicht eine Ursache gibt, die man heilen kann. Daher versucht man die symptomatische Besserung oder Beschwerdefreiheit zu erreichen. Das entspricht dem Patientenwunsch der Heilung. 

Das hört sich so an, als ob es Hoffnung für Reizdarm-Patietient:innen gibt. Wie wird denn der Reizdarm behandelt?

Prof. Dr. Storr: Wir haben es mit einem Krankheitsbild zu tun, welches eine vielschichtige und vielfältige Auswahl an Ursachen hat. Damit braucht man nach der Diagnosestellung einen bunten Strauß an Maßnahmen. Die Leitlinie zum Reizdarm-Syndrom organisiert die Therapien gut. Zum einen gibt es Basistherapien, wozu die Lebensstil-Umstellung, die Ernährungsumstellung nach dem Low-FODMAP-Konzept, das Ernährungssymptom-Tagebuch und entspannende Maßnahmen dazu gehören. Diese Basistherapie können fast alle Reizdarm-Patient:innen im Alltag gut anwenden.

Dann gibt es die spezielle Therapie, die sich an den führenden Symptomen, den sogenannten Leitsymptomen, des jeweiligen Betroffenen orientiert. Diese umfasst dann medikamentöse, aber auch psychotherapeutische Maßnahmen. Das „Spezielle“ an der speziellen Therapie ist, dass sie auf die Leitsymptome eingeht und mit Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln symptom-spezifisch gearbeitet wird. Dabei können Phytotherapeutika, also pflanzliche Arzneien, wie Myrrhe exzellent helfen. Myrrhe ist wunderbar hilfreich bei Durchfall, Blähungen und Krämpfen in Bauch. Also ein Präparat kann sozusagen „mehr“. Das grenzt Phytotherapeutika oftmals von chemisch-definierten Wirkstoffen ab. 

Chemisch-definierte Wirkstoffe haben häufig nur eine Wirkung und sind daher beim Reizdarm-Syndrom eigentlich nicht Therapien der ersten Wahl.

Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Storr für das informative und spannende Interview. 

Prof. Dr. Storr: Ich bedanke mich für das Gespräch und Ihr Interesse.

Über Prof. Dr. Martin Storr

Professor Dr. Martin Storr ist als Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie im Zentrum für Endoskopie in Starnberg bei München tätig und lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Sein Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von funktionellen und entzündlichen Magen- und Darmerkrankungen. 

In diesem Zusammenhang behandelt er vor allem Patienten mit einem Reizdarmsyndrom, Reizmagen, Sodbrennen, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Zöliakie und anderen Verdauungskrankheiten.

Darüber hinaus ist er Autor zahlreicher Ratgeber zu den Themen Reizdarm und Darmgesundheit.

Das Videointerview mit Professor Dr. Storr wurde in Kooperation mit EatSmarter und MYRRHINIL-INTEST® erstellt.

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